Kurze Anleitung zur Gegenstandslosen Meditation


A. Was ist die Gegenstandslose Meditation?

Das Wissen, das durch die gegenstandslose Meditation vermittelt wird, ist unabhängig von einem Konzept oder einer bestimmten Lehre. Es beruht auf der direkten Erfahrung von unzähligen Menschen seit mehr als zweieinhalb tausend Jahren in verschieden Kulturen Regionen und Religionen.

Die gegenstandslose Meditation ist ein Weg nach innen. Ein Weg zu unserem eigentlichen Wesen als Menschen, das aufgehoben ist in der Liebe. Alle ernsthaften spirituellen Wege treffen sich an diesem Ort. Deshalb sagt Dalai Lama: „Da aber Liebe wesentlich für alle Religionen ist, könnten wir von einer universalen Religion der Liebe sprechen.“1

Es kann anders auch nicht sein. Wir wissen, dass es im Menschen einen Ort gibt, wo Liebe als Ur-Grund erfahren werden kann. Bei Lao Tse ist es die Wu Chi-Natur2, zu der Thai Chi als spiritueller Weg führt, bei Buddhismus die Buddha-Natur,3 beim Christentum Christus,4 der in uns geboren wird und lebt. Krishnamurti, dem die direkte persönliche Erfahrung in Freiheit von jeglicher Ideologie und Lehre ein grosses Anliegen war, sagt: „There is no silence without love.“5

In verschiedenen Religionen werden unterschiedliche Wege – Rituale, Lehren, Lebensregeln oder körperliche Übungen – zu der Erfahrung dieses tragenden Elements beschrieben. Die gegenstandslose oder objektfreie Meditation gehört zu den ältesten und direktesten Wegen. Sie ist von religiösen oder spirituellen Konzepten unabhängig, aber mit ihnen durchaus vereinbar, weil sie in verschiedenen Religionen eine lange Tradition hat. Sie wird ebenfalls im Rahmen von verschiedenen psychotherapeutischen Verfahren, ohne Bezug auf eine spirituelle oder Religionslehre gelehrt und geübt.

Das der Meditationspraxis zugrundeliegende Konzept kann je nach Kontext unterschiedlich sein: Der Christ sitzt bei der gegenstandslosen Meditation vor Gott, der Atheist und der Zen-Buddhist vor der Leerheit, der Agnostiker vielleicht vor dem Absoluten, das er eben nicht kennt. Alle sitzen indessen vor sich selbst und mit sich selbst. Aus diesem Grund ist der Weg der gegenstandslosen Meditation immer auch ein Selbsterkennungsprozess.6

Wie sie in dieser Anleitung vermittelt wird, ist die Grundform der Übung sehr einfach: der Atem wird als Anker verwendet, um den Geist zu sammeln und zu sich selbst im gegenwärtigen Augenblick, hier und jetzt, zu kommen. Die regelmässige Praxis der gegenstandslosen Meditation ist trotzdem alles andere als mühelos und leicht. Es ist eine lange Reise mit vielen überraschenden und zum Teil nicht angenehmen Entdeckungen über uns selbst. Sie zu akzeptieren und auf dem Weg zu bleiben, verlangt Mut und Kraft.

B. Ausübung der Gegenstandslosen Meditation

1. Wo meditiere ich?
Für die Übung zu Hause sollten Sie sich, so weit es geht, einen Ort einrichten, an dem eine ungestörte Meditation möglich ist. Am einfachsten ist es, eine Matte oder eine Decke auf den Boden zu legen, welche diesen Ort, auch wenn nicht geübt wird, ‘markiert’ und die Sitzmeditation auch im Alltag in Erinnerung ruft. Diese Matte (zum Beispiel quadratisch mit einer Seitenlänge von 80-100 cm) sollte an einer leeren Wand liegen (ohne aufgehängte Bilder oder Gegenstände).

Die Übung erfolgt im Sitzen gegen diese Wand, in der Mitte der Matte, welche etwa ½ -1 Meter von der Wand entfernt ist. Gekehrt gegen eine Wand, wird die meditierende Person weniger durch die Umgebung gestört. Dies ist vor allem am Anfang wichtig.

2. Wie sitze ich?
Es gibt viele Weisen, wie wir während der Meditation sitzen können: auf einem Meditationskissen, auf einem Meditationsbänkchen, auf einem Hocker oder einem Stuhl (siehe Abbildung am Schluss dieser Anleitung). Wichtig ist, im Kontakt mit dem Boden zu bleiben. Die Füsse sollten deshalb, wenn wir auf einem Hocker oder einem Stuhl sitzen, gerade auf dem Boden (ohne Schuhe auf der Matte) stehen. Die Hände können entweder auf den Oberschenkeln liegen oder im Schoss gefaltet sein. Auf dem Bänkchen oder Kissen haben die Knie (und die Unterschenkel) den Kontakt zum Boden.

Das Sitzen muss bequem genug sein, damit Sie möglichst ohne Änderung der Lage während der gesamten Meditationszeit (am Anfang kürzer: z.B. 15-20 Minuten, später länger: 30-60 Minuten) sitzen können. Es ist nicht nötig, Sitzstellungen zu versuchen, welche Schmerzen oder das Einschlafen eines Beins oder eines Fusses verursachen. Wichtig sind die Verbindung mit dem Boden und eine Stellung, in welcher der Oberkörper aufrecht ist, damit der Atem frei fliessen kann. Den Kopf halten wir gerade, die Augen sind in der Zazen-Tradition halb geöffnet, der Blick leicht gesenkt gegen die Wand gerichtet. Die Sitzmeditation wird aber in vielen Traditionen auch mit geschlossenen Augen geübt.

3. Wie meditiere ich?
Während der Meditation sollte unser Geist (unser Bewusstsein) den Zustand einer inhaltsfreien Wachheit anstreben. Das heisst nicht unbedingt, dass ich einfach passiv an nichts Bestimmtes denke. Denn beobachte ich mich beim ‚An-nichts-Denken’, stelle ich fest, dass ich nie wirklich an nichts denke, sondern den Gedanken freien Lauf lasse, wie sie ‚spontan’ kommen. Welche Gedanken dabei in mein Bewusstsein gelangen, wird in erster Linie durch meine (bewussten oder nicht bewussten) Gefühle bestimmt. Umgekehrt bestimmen die Gedanken, die in mir als Worte oder Bilder aufkommen, auch ihrerseits wiederum die Gefühle, da beinahe jeder Gedanke eine Verknüpfung mit bestimmten Emotionen hat. Es kommen ununterbrochen Inhalte in Form von Gedanken und Gefühlen auf.

Aber auch wenn wir versuchen, aktiv die Inhaltsfreiheit unseres Geistes zu erreichen, stellen wir fest, dass es sich um eine sehr schwierige Aufgabe handelt. Wir können uns auf etwas konzentrieren, wir können unsere Gedanken auf etwas fokussieren und alles andere ausblenden. Zum Beispiel wenn wir eine schwierige Rechenaufgabe im Kopf ausführen oder wenn wir aus dem Gedächtnis einen Text rezitieren. Viel schwieriger ist es aber, auf nichts zu fokussieren. Aus diesem Grund wird empfohlen, während der Meditation den Atem zu Hilfe zu nehmen7. Wir beobachten unseren Atem: unser Bewusstsein – unser Geist – ist auf ihn zentriert und fliesst mit jedem Ausatmen und Einatmen mit. Wichtig ist dabei, dass wir den Atem nicht beeinflussen wollen, sondern, so wie er ist, mit ihm gehen.

Eine weitere Hilfe zur Erreichung der notwendigen Konzentration kann ein Wort sein, das wir mit dem Atem in Gedanken aussprechen. Das Wort sollte so gewählt werden, dass es unsere Einstellung während der Meditation stützt, zum Beispiel Worte wie Ruhe, Stille oder Liebe. Gleichzeitig konzentrieren wir unser Bewusstsein auf die Leere vor uns und um uns, zum Beispiel dadurch, dass wir der Stille um uns und in uns zuhören.

Wir werden am Anfang nur während sehr kurzer Augenblicke in der Lage sein, ein annähernd inhaltsfreies Bewusstsein zu haben. Es werden immer wieder Gedanken und Gefühle hineinströmen. Dies gilt indes auch für Personen, mit langjähriger Meditationspraxis. Denn das stete Aufkommen von Gedanken und Gefühlen in unserem Bewusstsein ist eine natürliche Eigenschaft des menschlichen Geistes.

Wichtig ist, dass wir uns durch diese ‚Störungen’, welche wir nicht kontrollieren können, von der Meditation nicht ablenken lassen. Wir lassen alle Gedanken und Gefühle vorbeifahren und bleiben fokussiert auf unseren Atemzug (und unser Wort), welche uns in die Freiheit von Inhalten führen sollen. Wenn wir uns bewusst werden, dass ein Gedanke in unserem Bewusstsein bleibt und unsere Aufmerksamkeit auf seinen Inhalt lenkt, nehmen wir wahr, welcher Gedanke es war, der unseren Geist „mitgenommen hat“,  und kehren sanft aber bestimmt zum Atem zurück. Als Hilfe können wir das Wort ‚Denken’ denken und damit den Gedanken als Objekt anschauen und nicht als einen Teil von uns, der uns gefangen hält. Auf gleiche Weise können wir mit den aufkommenden Gefühlen und Körperempfindungen umgehen.

4. Das Ziel ist Loslassen – auch wenn die gegenstandslose Meditation manchmal anstrengend ist.
Die gegenstandslose Meditation ist manchmal anstrengend, weil aktive Wachheit einer gewissen Anstrengung bedarf. (Deshalb können viele besser ausgeruht am Morgen als müde am Abend meditieren.) Die gegenstandslose Meditation ist kein ‚Dasitzen’ in Inaktivität. Es wird aktiv an nichts (oder an den Atem bzw. an ein Wort, das durch den Atem getragen wird) ‚gedacht’. Gedacht im Sinne einer aktiven Konzentration oder Achtsamkeit des Geistes, des Bewusstseins.

Es sollte allerdings nicht versucht werden, mit einer extremen Anstrengung das Bewusstsein rein von Gedanken zu halten. Aufmerksamkeit und Ausdauer sind sehr wichtig. Das Ziel ist jedoch nicht, krampfhaft am Atem und dem begleitenden Wort haften zu bleiben. Gedanken und Gefühle gehören zu uns. Es geht nicht darum, sie zu unterdrücken. Es geht vielmehr darum, sie loszulassen, unser Bewusstsein auf den Raum „hinter“ oder „zwischen“ den Gedanken, Gefühlen, Körperempfindungen und Sinneswahrnehmungen zu fokussieren.

Wenn die meditierende Person merkt, dass sie abgelenkt wurde, soll sie sanft und freundlich, immer wieder neu, die Aufmerksamkeit auf den Atem, auf das Wort richten. Nicht ausschliesslich über den Kopf. Auch der Körper ist ein Teil der Meditation8, alles ist da, alles soll einfach da sein, alles aufmerksam, aber nicht angespannt. Das Ziel der Übungen ist Loslassen von allen Gedanken und Gefühlen ohne Anstrengung. Dieses Ziel wird nicht unbedingt von denen früher erreicht, die sich auf die Ausübung der gegenstandslosen Meditation besser ‚konzentrieren’ können. Das Ziel kommt, wenn es kommt. Es geschieht. Das Ich hat darüber keine Kontrolle9.

5. Welche Texte eignen sich als Begleitung?
Es kann auf dem Weg der gegenstandslosen Meditation eine Hilfe sein, in Zusammenhang mit der Übung einen Text zu lesen. Es gibt eine sehr grosse, kaum überschaubare Zahl von Büchern, welche sich als Begleitung oder Führung auf dem spirituellen Weg empfehlen. Allerdings ist die Wahl eines geeigneten Textes am Anfang nicht immer einfach.

Es werden hier deshalb einige Bücher erwähnt, welche die meditierende Person zu Beginn, bevor sie selber den für sie am besten geeigneten Text findet, verwenden kann. Alle sind von Frauen und Männern verfasst, welche den spirituellen Weg über viele Jahre mit voller Hingabe gegangen sind und auf tiefe Erfahrungen zurückblicken.

Wird die gegenstandslose Meditation im Kontext der christlichen Religion (der christlichen Mystik) geübt, eignen sich sehr gut Texte von Tauler und Eckehart.10 Ein anderes „klassisches“ Werk, das in diesem Zusammenhang empfohlen werden kann, ist „Wolke des Nichtwissens“11.

Für Personen, welche in der buddhistischen Tradition den Weg der gegenstandslosen Meditation gehen wollen, können Bücher von M. Irgang (Zen-Buddhismus) beziehungsweise von Buddhadasa und J. Kornfield („klassischer“ Buddhismus) empfohlen werden12.

Wird die Übung als ein Weg zu sich selbst praktiziert, ist das Buch „Einbruch in die Freiheit“ von Krishnamurti sehr gut geeignet als Begleitung im Prozess der Selbsterkennung13.

Die Erfahrung zeigt, dass eine regelmässige Lektüre (z.B. zweimal wöchentlich ein Kapitel aus dem gewählten Buch nach einer längeren Meditationsübung) die besten Früchte trägt. Es empfiehlt sich zudem, das Buch von Anfang bis Ende (und nicht ausgewählte Kapitel) zu lesen. Meistens wird ein Buch zwei bis dreimal auf diese Weise „durchgearbeitet“. Einige Texte werden wir dabei nach wiederholter Lektüre und nach längerer Meditationserfahrung viel klarer verstehen.

6. „Bleib bei dir selber!“
Dieser Satz aus der Predigt Nummer 73 von Johannes Tauler wird hier zitiert, um deutlich zu machen, dass die Erfahrung in der Übung der gegenstandslosen Meditation jeder Mensch nur selbst und mit sich selbst machen kann. Es werden viele Texte und Kurse angeboten, die für den Einstieg sehr wichtig und für die meisten zu Beginn unerlässlich sind. Den Weg muss aber jeder und jede allein gehen: jeden Tag ein- oder zweimal meditieren. Am Anfang 15 bis 30 Minuten, später länger.

Jeder und jede wird dann aber auch selbst die Früchte erleben können. Eine direkte Erfahrung des vollkommenen Friedens, der bedingungslosen Annahme und Liebe. Eine Erfahrung, die mir kein Mensch geben kann, welche ich auch selber nicht herbeiführen kann, welche ich nur dadurch, dass ich die gegenstandslose Meditation übe, als Geschenk empfange.

Wie im vorigen Abschnitt erwähnt, ist es auch nützlich und wichtig zu lesen und zu hören, was andere erfahren haben. Solche Texte und Ansprachen können aber die regelmässige Meditation nie ersetzen. Am wichtigsten ist daher das Ausharren. Nicht wie ich sitze, zu welcher Tageszeit ich meditiere, nicht was ich lese, nicht was ich beim Meditieren empfinde, sondern dass ich auf dem Weg ausharre, ist wichtig. Nur so wird die neue Wirklichkeit in meinen Alltag übergehen, wird alles mit Sinn und Liebe durchstrahlt.


7. Beispiele von Sitzmöglichkeiten


Abbildungen aus: Jon Kabat-Zinn: Gesund durch Meditation. Fischer Verlag, 2007

Heute finden wir auch hilfreiche Beschreibungen des Sitzens im Internet, z.B. www.youtube.com/watch?v=OpF4A4ngL5Q
oder (englisch) www.youtube.com/watch?v=n1CskQaFjAY&feature=related


8. Referenzen
  1M. von Brück: Buddhismus und Christentum. Beck Verlag, München, 2000, p. 519.

  2John Lash: “The Yin of Tai-Chi”, 2007 ISBN 978-3-9523447, p. 20 und 27

  3Siehe z.B. Thich Nhat Hanh: “Jesus und Buddha – Ein Dialog der Liebe. Herder Verlag, 2006, p. 96.

  4Siehe z.B. Die Bibel, Gal. 2, 20.

  5John E. Coleman, „The Quiet Mind”, Rider 1971, p. 94

  6Für Beschreibung der verschiedenen Konzepte siehe den Text „Die gegenstandslose Meditation ist nicht an ein Konzept gebunden“ auf www.s-dimension.ch

  7Auch andere Aktivitäten oder Teile des Körpers und des Geistes sind als Unterstützung der Konzentration hilfreich: so wird z.B. bei der Gehmeditation der Fokus auf die sich im Gehen befindenden Füsse gelenkt.

  8Es gibt Anleitungen zur gegenstandslosen Meditation, welche beinahe ausschliesslich von Körperhaltung, -empfindung und -funktionen ausgehen (siehe z.B. Peter Wild. Meditation hilft heilen. Verlag Via Novia 2004.)

  9Diese Tatsache, dass diese Erfahrung der meditierenden Person geschieht und nicht willentlich herbeigeführt werden kann, wird sowohl im Christentum, als auch in anderen Religionen immer wieder betont. Sehr anschaulich und eindrücklich ist dieser Prozess im Buch von  Eugen Herrigel „Zen in der Kunst des Bogenschiessens“ beschrieben.

  10Johannes Tauler: „Predigten“. Johannes Verlag, Einsiedeln – Trier.
Meister Eckehart: „Deutsche Predigten und Traktate“. Diogenes Verlag, Zürich 1979.

  11W. Massa, Übersetzer und Herausgeber. „Wolke des Nichtwissens und Brief persönlicher Führung“. Freiburg: Herder, 2002.

  12M. Irgang: „Zen-Buch der Lebenskunst“. Freiburg: Herder Spektrum, 2006.
Buddhadasa Bhikkhu: „Das Abc des Buddhismus“. Publikation Umong, ISBN 978-3-839165-11-9.
J. Kornfield: „Frag den Buddha und geh den Weg des Herzens“. Ullstein Verlag, ISBN 978-3-548-74192-5.

  13J. Krishnamurti: „Einbruch in die Freiheit“. Lotos Verlag, München 2009.